Neue im Linken-Landesvorstand hat Neonazi-Vergangenheit

Frisch gewählt in Sachsens Linken-Vorstand, holt Lisa Thea Steiner ihre Vergangenheit ein: In ihrer Jugend war sie Teil der rechtsextremen Szene, liebte einen Neonazi. In der LVZ spricht sie erstmals über die Zeit.

Leipzig. Gerade eben war Lisa Thea Steiner noch die lässige Bankkauffrau, als die man sie kennengelernt hat. Schwarzer Blazer, elegantes Make-up, gewinnendes Lächeln. Aber nun stockt ihr der Atem.

„Wir waren jung, wir bewunderten die Jungs mit den Mopeds“, sagt sie. „Es war ein wohliges Gefühl, vor dem ich mich heute grusele.“

Steiner, 34 Jahre, hat im Säulengarten der Sächsischen Aufbaubank in Leipzig Platz genommen. Seit fünf Jahren arbeitet sie als Bankkauffrau, in Leipzig und Dresden. Nun macht sie auch politisch Karriere: Ende Oktober wurde sie neue Chefin der Linken im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Eine Woche später rückte sie auf dem Parteitag in Chemnitz in den Landesvorstand der Partei. Sie überlegt, bei der Landtagswahl zu kandidieren.

Nun aber erzählt Steiner von einer Zeit, die sie nur ganz selten erwähnt hat. Erst recht in der Öffentlichkeit. Die Rede ist von ihrer Jugend in Ostsachsen, die sie in Neonazi-Kreisen verbrachte. Steiner spricht darüber nicht ganz freiwillig: Ihre rechte Vergangenheit wurde vergangenen Mittwoch von einem Rechtsextremisten enthüllt.

So jedenfalls wollte es Max Schreiber, Aktivist der „Freien Sachsen“, aussehen lassen, als er in seinem Kanal „Team Schreiber klagt an“ über die Linken-Politikerin schrieb: Sie sei „früher im Umfeld der verbotenen Skinheads-Sächsische-Schweiz“ aktiv gewesen. Er mutmaßte, dass ihre Partei davon nicht wisse. Und: Dass Steiner gar bis heute „freundschaftliche Kontakte zu ehemaligen Führungskadern“ pflege.

Am Donnerstagmorgen reagierte Steiner auf Instagram und X (früher Twitter) auf Schreiber: „Im Alter zwischen 15 und 18 Jahren hatte ich Kontakte in die rechte Szene und habe einen Teil dieser Zeit mit ihr verbracht und auch teilweise ihre Sichtweisen, die durch Hass und Hetze geprägt waren, mitgetragen.“

Steiner wird Linken-Mitglied – um gegen Neonazis aktiv zu sein

Fragt man Steiner wie sie zur Linken kam, erzählt sie von der Europawahl 2019. In den Nachrichten färbte sich Sachsen damals zum ersten Mal so tiefblau wie man es heute gewohnt ist. Steiner stellte sich damals bei Lutz Richter vor: Einem Mann, der seine politische Karriere dem Kampf gegen Neonazis gewidmet hat. Dessen Auto von Neonazis angezündet wurde. Und der vor Gericht gegen jene Skinheads Sächsische Schweiz aussagte, denen Lisa Steiner in ihrer Jugend nahe gestanden haben soll.

Steiner sagt, sie sei gegenüber Richter und später gegenüber dem Landesvorstand offen mit ihrer Vergangenheit umgegangen. „Ich habe früher mit Neonazis abgehangen, heute bin ich schlauer“ – so habe sie es gesagt. Das habe man auch akzeptiert. Ihre Vergangenheit sei für sie kein Widerspruch gewesen, der Linken beizutreten, sagt Steiner. Sondern, im Gegenteil, ein Antrieb:

„Ich weiß, wie gut die rechte Szene organisiert ist. Ich wollte dagegenhalten.“

Nur: Warum machte sie ihre Jugend nicht selbst öffentlich? Warum überließ sie die Enthüllung einem Rechtsextremen?

Diese Frage, sagt Steiner, habe sie sich noch nie gestellt. Vielleicht liege es daran, dass Jugenderfahrungen wie ihre im ländlichen Sachsen gar nicht selten seien. Nach dem Motto: Warum etwas effektvoll offenbaren, das doch viele so erlebt haben? „Mir war aber bewusst, dass der Tag kommen wird, an dem es öffentlich wird.“

War das wirklich alles so normal? Kommt man auf dem sächsischen Land gar nicht drumrum, mit Neonazis befreundet zu sein?

„Linke existierten nicht, rechts sein galt als stark“

Lisa Steiner stammt aus Königstein, einer kleinen Stadt, die kurz hinter Dresden, wo die Elbe einen Knick macht, nicht idyllischer liegen könnte. Jedenfalls auf den ersten Blick.

„In den Nullerjahren war Königstein eine Nazihochburg“, sagt Steiner. „Linke existierten nicht, rechts sein galt als stark.“

Mitte der Nuller Jahre, Steiner ist gerade 15, lernt sie dort einen Mann kennen, den sie so aufregend findet wie es bei der ersten Liebe vielleicht immer ist. Er hat Freunde, mit denen er am Wochenende auf Mopeds und in Autos steigt. Die Männer zeigen ihr, dass man sich in der sächsischen Provinz frei und ungehemmt fühlen kann. Meistens holen Steiner ab, fahren in eine Disco oder auf ein Dorffest und bringen sie pünktlich wieder zu ihren Eltern. „Wer klein war, bewunderte die Jungs mit den Mopeds“, sagt Steiner. Sie erzählt von einer „großen Fürsorge“.

Für Steiner eröffnete sich eine neue Welt. Bei ihren neuen Freunde fühlte sich akzeptiert, behütet und ernstgenommen. Was dabei völlig klar war: Ihre neue Freunde waren, dachten und fühlten stramm rechts. Manche engagierten sich in der NPD, die gerade mit fast zehn Prozent in den Sächsischen Landtag eingezogen war. Andere waren mit den gefährlichen Skinheads von der anderen Elbseite befreundet.

„Rechts sein galt als stark“, sagt Steiner. „Linke existierten überhaupt nicht.“

Es vergehen einige Jahre, bis die Freundschaften erste Brüche bekommen. Nachdem eine Lesung, die sie besuchen, in einem von Rechten besetzten Haus von der Polizei gestürmt wird, erfahren Lisa Steiners Eltern, mit was für Jungs sie sich da eigentlich herumtreibt: Neben einer Anzeige wegen Landfriedensbruch findet ihre Mutter eine Vorladung vom Jugendamt im Briefkasten.

2006 folgt der nächste Einschnitt: Der NPD-Abgeordnete Uwe Leichsenring, ein enger Freund von Steiner und ihrem Partner, kommt bei einem Autounfall ums Leben. Leichsenring betrieb die einzige Fahrschule in Steiners Heimat Königstein, über die er auch die örtliche Jugend ins rechte Milieu lockte.

Nicht nur Leichsenrings Tod macht der rechten Szene im Elbland zu schaffen: Im Dresdner Landtag halbiert sich die NPD-Fraktion. Gegen einen Abgeordneten wird wegen Kinderpronographie ermittelt. Andere treten aus, weil ihnen die NPD doch zu extrem erscheint. Und Steiner trennt sich von ihrem Freund, lernt einen neuen Mann kennen. Einen, der sich weniger Politik und mehr fürs Tanzen und Ausgehen interessiert. Einer, so erzählt es Steiner, der „eher Mitte links“ ist.

Steiner zieht für eine Weile nach Dresden, sie heiratet ihren neuen Freund, bekommt mit ihm Kinder. Schon vorher hört sie vom Tod ihres rechten Ex-Freunds: Er habe sich selbst umgebracht.

Heute sagt sie, dass es die Summe an Ereignissen war, die sie zum Nachdenken brachte: die Anzeige, der Suizid, die neue Liebe. Dass sie Jahre später in die Linkspartei eintritt, habe aber mit ihrem Beruf zu tun:

Bei der Sächsischen Aufbaubank bekommt sie Anträge von linken Initiativen wie dem Leipziger Roten Stern oder dem Flüchtlingsrat auf den Tisch. Die ehrenamtliche Arbeit beeindruckt sie. Sie will ein Teil davon werden.

Seit sie in der Politik ist, übernimmt Steiner bei der Aufbaubank andere Aufgaben. Aber was wurde aus den alten Kontakten zu den Neonazis?

Der Freie-Sachsen-Aktivist Max Schreiber nennt in seiner vermeintlichen Enthüllung konkrete Namen, mit denen Steiner Kontakt haben soll: Die Gebrüder S. und einen Sebastian N. – wer sind diese Leute?

Auf einer Gegendemo trifft Steiner alte Freunde

Steiner weiß, wer gemeint ist. Die Gebrüder S., sagt sie, habe sie gekannt – „als knallharte Faschos, fünf, sechs Jahre älter, auf jedem Nazi-Konzert und als Ordner auf Demos.“

Sie sagt: „Das waren die Großen, die ich in jugendlicher Naivität natürlich bewunderte, aber eher aus der Ferne. Mit denen hatte ich nichts zu tun.“

Und N., der ihr sogar heute auf Instagram folgt? „Mir folgen ja zahlreiche Faschos auf Instagram, die liken auch meine Bikini-Fotos“, sagt Steiner.

„Da kann ich ja nichts für.“ Dass sie heute Kontakt zu SSS-Kadern von früher habe, sei gelogen. Hat sie wirklich alle Kontakte abgebrochen? Nein, sagt Steiner. „Natürlich habe ich Freunde von früher. Aber keiner von denen ist heute noch rechts.“

Erst kürzlich habe sie einige von ihnen wiedergetroffen. Es war auf einer Demonstration vom „Freie Sachsen“-Aktivist Max Schreiber in Berggießhübel. Nur 20 Minuten von Königstein entfernt. Steiner wurde von einem Bündnis gegen rechts gefragt, ob sie auf der Gegendemo sprechen wollte. Sie sagte zu. Und traf dort, so erzählt sie es, die Freund von früher.

Manche wohnten jetzt in Leipzig oder Dresden und arbeiteten als Lehrer, Erzieher oder Anwalt. Man habe gestaunt und sogar darüber lachen müssen, dass man sich nun ausgerechnet hier traf: auf einer Demo gegen Rechtsextremismus.

Steiner sagt: Keiner von ihren Freunden sei nur ein Fünkchen rechts. Sie sagt: „Sie sind wie ich.“